Ausgangslage „Starke Verunreinigung auf der BAB 7 bei Göttingen“
Nach übereinstimmenden Medienberichten sowie den Angaben der zuständigen Niederlassung der Autobahn GmbH ist die Bundesautobahn BAB 7 in Südniedersachsen über eine Strecke von rund 60 Kilometern zwischen den Anschlussstellen Northeim-Nord bis Staufenberg-Lutterberg gesperrt.
Aufgrund einer massiven Verunreinigung durch eine paraffinähnliche bzw. wachsartige Substanz, die mutmaßlich am Sonntag, den 8. Januar 2023 durch einen Lkw verursacht wurden (die Ermittlungen dauern bis dato noch an), ist die Strecke vorübergehend nicht befahrbar. Die Verschmutzung führte zu einer unzureichenden Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche bei Nässe, weshalb die Strecke, für den Verkehr gesperrt werden musste. Stellenweise sind durch die unterschiedlichen Querneigungen sowie Steigungen und Gefälle der Fahrbahn alle Fahrstreifen betroffen.
Der Abschnitt zwischen der Anschlussstelle Northeim-Nord bis zur Anschlussstelle Göttingen liegt in der Verantwortung des ÖPP-Konzessionsnehmers Via Niedersachsen GmbH & Co. KG (Öffentlich-Private-Partnerschaft). Im weiteren Streckenverlauf bis zur Anschlussstelle Staufenberg-Lutterberg ist die Autobahn GmbH des Bundes unmittelbar für den Betrieb zuständig.
Die gegenständliche Fahrbahn der BAB 7 wurde in Teilbereichen mit einem Offenporigen Asphalt ausgestattet, um die Lärmbelastungen für die angrenzenden Gebiete zu verringern. Offenporige Asphalte weisen konzeptionell eine ausgeprägte und miteinander interagierende Hohlraumstruktur auf, die eine Absorption der Reifen-Fahrbahngeräusche (bzw. der bei der Überfahrt entstehenden Schallwellen) ermöglichen. Auch werden durch die Hohlräume Sprühfahnen bei Niederschlagsereignissen vermindert, in dem das Niederschlagswasser, u.a. auch innerhalb der Asphaltdeckschicht, durch die Hohlräume abgeführt wird.
Mutmaßlich ist es beim Austritt der wachsartigen Substanz zu einem Einsickern bzw. Einlaufen dieses Materials in die Asphalt-Hohlraumstruktur und zu einem Erstarren der Substanz in den Hohlräumen gekommen. Dieser Umstand erschwert massiv die Reinigung, so dass dies nur durch schonendes Hochdruckwasserstrahlen mit warmen Wasser zu erreichen ist. Eine weitere Schädigung der offenen Asphaltstruktur und damit der Asphaltfahrbahn durch eine „Wassersprengwirkung“ infolge eines zu hohen Wasserdrucks ist hierbei unbedingt zu verhindern. Der Wasserdruck und die Wassertemperatur sind bei den Reinigungsarbeiten darauf abzustimmen.
Seit Montag sind nach Angaben der zuständigen Niederlassung der Autobahn GmbH insgesamt 15 spezielle Reinigungsfahrzeuge im Einsatz, um mit heißem Wasser und Hochdruck die Straße zu reinigen, indem die Substanz aufgelöst und abgesaugt wird. Dennoch ist die Strecke trotz dieser intensiven Reinigungsbemühungen im Bereich Göttingen weiterhin auf mehr als 50 Kilometern in Fahrtrichtung Süden gesperrt. Regen und niedrige Temperaturen erschweren die Reinigungsarbeiten zusätzlich. Nach neuen Erkenntnissen der Experten wird seit Mittwochmorgen mit verbesserten Reinigungsverfahren und einem speziellen Reinigungszusatz gearbeitet.
Am Mittwochabend konnte der erste Streckenabschnitt nach umfangreichen Reinigungsarbeiten wieder freigegeben werden. Wann weitere Teilfreigaben möglich sind, sei bis dato aber noch unklar.
Hintergründe zu Offenporigen Asphalten
Die Offenporigen Asphalte, umgangssprachlich als „Flüsterasphalt“ oder „OPA“ (Porous Asphalt = PA) bezeichnet, sind derzeit „die Fahrbahnbeläge, die Reifenfahrbahngeräusche am effektivsten mindern und gleichzeitig bautechnisch gut beherrschbar sind“ [REICHART, 2009].
Offenporige Deckschichten haben im Gegensatz zu dichten Deckschichten schallabsorbierende Eigenschaften. Durch die günstig gewählte Textur und den hohen Hohlraumgehalt der Asphaltdecke wird dem Schallfeld Energie entzogen, indem „Schallwellen absorbiert anstatt wie bei dichten Fahrbahnbelägen reflektiert werden“ [BECKENBAUER, 2008].
Darüber hinaus erfolgt bei der Reifenüberfahrt aufgrund der offenen Belagsstruktur eine große Luftverdrängung in horizontaler als auch vertikaler Richtung durch den Belag. Dies ist das Resultat verminderter aerodynamischer Effekte (Luftkompression und -dekompression) in der Kontaktzone zwischen Reifen und Fahrbahnoberfläche. Die Luftverdrängung vor bzw. hinter dem Reifen und die daraus entstehenden Geräusche werden vermindert. Dies resultiert in einer lärmreduzierenden Wirkung offenporiger Asphalte von bis zu 5 dB(A).
Weiterhin ist eine gute entwässerungstechnische Wirkweise des Belages von Vorteil. Durch die großen Hohlräume kann das Wasser in die Fahrbahn laufen und von dort seitlich abgeleitet werden. Dies wirkt einem Stehenbleiben von Wasser auf der Fahrbahnoberfläche, wodurch Aquaplaning und Sprühfahnenbildung vermieden werden kann. [BECKENBAUER, 2008; REICHART, 2009]
Die o.g. akustische und entwässerungstechnische Wirkweise offenporiger Asphalte ist allerdings nicht dauerhaft, sondern nimmt aufgrund zunehmender Verschmutzung der Hohlraumstrukturen des Belages („Clogging“) im Laufe der Nutzungsdauer ab. Dies wurde unter anderem in Untersuchungen von [BAST, 2012], [ALBER, 2013] oder [ARBTER,2014] nachgewiesen. Die Gebrauchsdauer offenporiger Beläge wird demnach zumeist nicht durch die Dauerhaftigkeit des Belages, d.h. die sogenannte bautechnische Lebensdauer, sondern vielmehr durch die sogenannte akustische Lebensdauer bestimmt, welche insbesondere von den äußere Randbedingungen beeinflusst wird. [ARBTER, 2014; BAST, 2012]
Für weitere Details wird auf die einschlägige Fachliteratur, bspw. der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) oder der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) verwiesen.
Hinweise
Um solche Schadensfälle wie diesen auf der BAB 7 zu vermeiden, ist es grundsätzlich ratsam, sich mit den unterschiedlichen Asphaltbauweisen zu beschäftigen.
Welche lärmtechnisch optimierten Asphalte neben Offenporigen Asphalten verwendet werden, um Reifenfahrbahngeräusche zu reduzieren, welche Notwendigkeit eine Temperaturreduzierung von Asphalten im Straßenbau hat und wie die Qualität von Asphalt schon bei der Konzeption gesichert werden kann, erfahren Sie in unseren neuen Kurzseminaren.
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Referent und Autor: Dr. Andreas Schacht
Bild: Hubert Jelinek
Quellennachweise Literatur:
[ALBER, 2013]
Alber, S.: „Veränderung des Schallabsorptionsverhaltens von offenporigen Asphalten durch Verschmutzung“, Dissertation an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der Universität Stuttgart, Veröffentlichungen aus dem Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Heft 46, Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart (Hrsg.), Stuttgart, 2013
[ARBTER, 2014]
Arbter, B.: „Numerische Bestimmung der akustischen Eigenschaften offenporiger Fahrbahnbeläge auf Basis ihrer rekonstruierten Geometrie“, Dissertation an der Fakultät für Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der Universität Stuttgart, Veröffentlichungen aus dem Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Heft 48, Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart (Hrsg.), Stuttgart, 2014
[BAST, 2012]
Bundesanstalt für Straßenwesen: „Verbundprojekt „Leiser Straßenverkehr 2“ – Reduzierte Reifen-Fahrbahn-Geräusche“, Projektgruppe: „Leiser Straßenverkehr 2“, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen – Straßenbau Heft S 74, Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.), Carl Schünemann Verlag GmbH, Bergisch-Gladbach, 2012
[BECKENBAUER, 2008]
Beckenbauer, T.: „Physik der Reifen-Fahrbahngeräusche – Geräuschentstehung, Wirkungsmechanismen und akustische Wirkung unter dem Einfluss von Bautechnik und Straßenbetrieb“, 4. Informationstage Geräuschmindernde Fahrbahnbeläge in der Praxis – Lärmaktionsplanung, unter der Schirmherrschaft des Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen, Gelsenkirchen, 2008
[REICHART, 2009]
Reichart, U.: „Lärmmindernde Fahrbahnbeläge – Ein Überblick über den Stand der Technik“; Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau, 2009
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